1. Wesen
Das Wesen des innerlichen Gebetes besteht nach Teresa von Avila (Buch: Wege der Vollkommenheit) nicht im Schließen des Mundes (allein). Wenn ich mit ganzem Gemüt aufmerke und bedenke, daß ich mit Gott rede, also bedenke, wer der ist, mit dem ich rede, und wer ich bin, die ich mit einem so großen Herrn zu sprechen wage, wenn ich bedenke, welche Ehrfurcht Ihm gebührt, beginnt bereits mit dem mündlichen das innerliche Gebet. Deshalb weiß Teresa nicht, wie man mündlich beten könne, ohne zugleich auch innerlich zu beten. Es kann sogar sehr leicht geschehen, daß der Herr, während wir das Vaterunser oder ein anderes Gebet sprechen, die Seele zu vollkommener Beschauung erhebt. Auf diese Weise zeigt Er, daß Er den hört, der mit Ihm spricht, und sich würdigt, Ihm zu antworten. Er nimmt ihm gleichsam schon das Wort vom Munde und unterweist ihn auf göttliche Art.
2. Notwendigkeit des innerlichen Gebetes
Lassen wir dazu Teresa von Avila selbst sprechen (Buch: Das Leben, 8. Hauptstück):“Mögen wir erkennen, welch ein großes Gut Gott einer Seele verleiht, wenn Er ihr den Willen einflößt, das innerliche Gebet zu üben, mag sie auch noch nicht dazu bereitet sein, so wie es notwendig wäre. Wenn sie nur – trotz der Sünden, Versuchungen und tausenderlei Fehler, die der böse Feind anstiftet – in dieser Übung verharrt, so wird sie der Herr, führen… Wer einmal das innerliche Gebet zu üben begonnen hat, der gebe es, soviel Böses er auch tun mag, doch nicht wieder auf; denn es ist das Mittel, durch das er sich wieder bessern kann… Ein solcher lasse sich auch nicht, wie mir geschehen, vom bösen Feind bereden, aus Demut davon abzustehen… Der Herr wird uns dann die zuvor erwiesenen Gnaden, ja zuweilen, wenn unsere Reue es verdient, noch viel größere schenken. Wer aber mit dieser Übung noch nicht begonnen hat, den bitte ich um der Liebe des Herrn willen, sich ein so großes Gut nicht entgehen zu lassen. Hier gibt es nichts zu fürchten, hier gibt es nur Verlangenswertes… Meiner Ansicht nach ist nämlich das innerliche Gebet nichts anderes als ein Freundschaftsverkehr, bei dem wir uns oftmals im geheimen mit dem unterreden, von dem wir wissen, daß Er uns liebt, so ertraget die Pein, die ihr empfindet, wenn ihr viel bei einem Freunde weilt, der so verschieden von euch ist…
Ich begreife darum nicht, o mein Schöpfer, warum nicht die ganze Welt danach strebt, durch diese besondere Freundschaft mit Dir in Verbindung zu treten. Die Bösen, die nicht nach Deiner Art sind, sollten Dir deshalb nahen, damit Du sie, wenn sie Dich täglich auch nur 2 Stunden bei sich litten, gut machtest; und sei es auch, daß sie nur mit tausend beunruhigenden Sorgen und weltlichen Gedanken erfüllt bei Dir verweilten, wie ich ehemals. Um der Gewalt willen, die sie sich antun, in einer so guten Gesellschaft auszuharren – denn Du siehst schon, daß sie am Anfang und manchmal auch später noch, nicht mehr tun können -, übst auch Du, o Herr, Gewalt an den bösen Geistern, daß sie ihnen nicht mehr so heftig zusetzen und von Tag zu Tag immer mehr die Kraft gegen die Seelen verlieren; diesen aber verleihst Du Stärke zum Sieg über die bösen Geister… Ich weiß nicht , was jene fürchten, die sich scheuen, dem innerlichen Gebet sich hinzugeben, und ich sehe nicht ein, warum sie sich fürchten. Der böse Feind geht hier meisterhaft zu Werke, um uns in Wahrheit zu schaden, wenn er uns Furcht vor dem Gebet einflößt… Nur das eine sei hier erwähnt, daß das innerliche Gebet die Pforte zu jenen so großen Gnaden war, die mir der Herr erwiesen hat; ist aber diese Tür verschlossen, so weiß ich nicht, wie Er solche Gnaden einer Seele mitteilen sollte. Wollte Er auch eintreten, um sich an ihr zu ergötzen und sie mit Seinen Tröstungen zu erfreuen, so fände Er keinen Zugang…“
Der Herr sagt der Gemeinde in Laodizea:
Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde Ich eintreten, und Wir werden Mahl halten. Ich mit ihm und er mit Mir.
(Offb 3,20)
3. Über das Stillewerden
Stillewerden ist Grundbedingung für das innerliche Gebet, und gerade hier beginnen bei uns modernen Menschen, bei jedem einzelnen, schon die größten Schwierigkeiten. Unsere Zeit lebt nicht mehr aus der Stille, sie flüchtet vor der Stille in ununterbrochenen Lärm, der uns umgibt, in uns eindringt, uns unfähig macht zur Stille.
Jörg Zink scheint mir in seinem Buch ‚Wie wir beten können’ die Realität sehr nüchtern zu treffen:
„Wer sich in die Einsamkeit begibt, trifft dort zunächst nicht Stille, sondern Lärm an: den Lärm, der in ihm selbst ist. Wenn er nun versucht, die vielen Stimmen der Erinnerung, der Angst oder der Abwehr zur Ruhe zu bringen, kann es ihm zustoßen, daß in seinen Gedanken ein Aufruhr losbricht, dessen er nicht mehr Herr wird. Das alte China hatte ein gutes Bild dafür: Die Gedanken sind Affen, die im Baum des Gehirns hin und her springen. Man fasse einen nach dem anderen und werfe ihn auf die Erde, bis der Baum frei ist. Aber mir scheint eben fraglich, ob das gelingen kann, ob nicht die Affen den Baum alsbald von der anderen Seite her wieder besteigen und der Aufruhr größer ist als am Anfang. Wahrscheinlich können wir, was die abendländischen Meister der Meditation das „Leerwerden“ nennen, so nicht mehr nachvollziehen. Für uns fängt das Weglegen der Gedanken damit an, daß wir das Gefackel und Geflacker geduldig aushalten, die Gedankenlosigkeit in den vielen Gedanken, die Einfallslosigkeit in den vielen Einfällen, den Lärm der Hölle im Lärm der Gedanken, und daß wir danach versuchen, ein Wort zu hören, das anderswo herkommt. Wir werden das fremde Wort aufnehmen, bis es über das Vielerlei der Gedanken Herr ist, so daß wir am Ende nicht ’leer’ sind sondern erfüllt mit dem neuen, fremden Wort.“
Stillewerden ist Grundbedingung des Gebetes, aber nicht Selbstzweck, Vorstufe des Gebetes, noch nicht das Gebet selbst. In vielen Meditationskursen werden sehr heilsame Übungen der Stille durchgeführt, doch da, wo das Gebet erst begänne, wo das Wesentliche Raum bekommen soll, worauf alles hinweist, endet oft die Meditationsübung. Da, wo Menschen zum Leerwerden geführt werden – oft mit östlichen Meditationsmethoden – wird in einem gefährlichen Spiel dieser Leerraum nicht gefüllt durch die bewusste Öffnung für unseren Herrn Jesus Christus, und andere Kräfte können eindringen und im Menschen Macht gewinne. Nur wenn wir als Getaufte im Leerwerden vom eigenen Ich dem Herrn in unserem Inneren begegnen wollen, können wir verantwortet meditieren und uns auch die Vorübungen der Stille zunutze machen.
Manchen Menschen wird auch noch ein anderer Weg der Stille geschenkt. Sie brauchen keine äußeren Stilleübungen, um sich dann der Gegenwart Gottes bewusst zu werden; sie werden bei dem Gedanken an die Gegenwart Gottes hier und jetzt still, ruhig, befriedet, gelöst; bereit Jesus aus ganzem Herzen anzubeten. Dazu ist es wichtig, im täglichen Leben eine besondere Disziplin zu wahren in dem, was wir durch Aug und Ohr in uns eindringen lassen, damit wir nicht unsere Phantasie, unser ganzes Innere unnötig belasten (Aszese!).
4. Betrachtendes Gebet
Franz von Sales gibt uns in seinem Büchlein: Philothea, Anweisungen für das innerliche Gebet der Betrachtung. Vorbereitung zur Betrachtung soll sein, daß wir uns in Gottes Gegenwart versetzen, entweder mit dem Gedanken an Gottes Allgegenwart, denn Gott ist in allem und überall, es gibt keinen Ort und kein Ding, wo Er nicht wirklich gegenwärtig wäre
1 Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich. /
2 Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. / Von fern erkennst du meine Gedanken.
3 Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt; / du bist vertraut mit all meinen Wegen.
4 Noch liegt mir das Wort nicht auf der Zunge – / du, Herr, kennst es bereits.
5 Du umschließt mich von allen Seiten / und legst deine Hand auf mich.
6 Zu wunderbar ist für mich dieses Wissen, / zu hoch, ich kann es nicht begreifen.
7 Wohin könnte ich fliehen vor deinem Geist, / wohin mich vor deinem Angesicht flüchten?
8 Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort; / bette ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen.
9 Nehme ich die Flügel des Morgenrots / und lasse mich nieder am äußersten Meer,
10 auch dort wird deine Hand mich ergreifen / und deine Rechte mich fassen.
11 Würde ich sagen: «Finsternis soll mich bedecken, / statt Licht soll Nacht mich umgeben», /
12 auch die Finsternis wäre für dich nicht finster,die Nacht würde leuchten wie der Tag, / die Finsternis wäre wie Licht.
13 Denn du hast mein Inneres geschaffen, / mich gewoben im Schoß meiner Mutter.
14 Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. / Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.
15 Als ich geformt wurde im Dunkeln, / kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, / waren meine Glieder dir nicht verborgen.
16 Deine Augen sahen, wie ich entstand, / in deinem Buch war schon alles verzeichnet; meine Tage waren schon gebildet, / als noch keiner von ihnen da war.
17 Wie schwierig sind für mich, o Gott, deine Gedanken, / wie gewaltig ist ihre Zahl!
18 Wollte ich sie zählen, es wären mehr als der Sand. / Käme ich bis zum Ende, wäre ich noch immer bei dir.
19 Wolltest du, Gott, doch den Frevler töten! / Ihr blutgierigen Menschen, lasst ab von mir!
20 Sie reden über dich voll Tücke / und missbrauchen deinen Namen.
21 Soll ich die nicht hassen, Herr, die dich hassen, / die nicht verabscheuen, die sich gegen dich erheben?
22 Ich hasse sie mit glühendem Hass; / auch mir sind sie zu Feinden geworden.
23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, / prüfe mich und erkenne mein Denken!
24 Sieh her, ob ich auf dem Weg bin, der dich kränkt, / und leite mich auf dem altbewährten Weg!
Wohl dem Volk,
das Dich als König zu feiern weiß!
Herr, sie gehen im Licht Deines Angesichts.
(Psalm 89, 16).
Zur Vorbereitung empfiehlt Franz von Sales auch noch, daß wir uns mit der Einbildungskraft den Herrn als bei uns gegenwärtig vorstellen, wie Er als Mensch unter uns gewohnt hat, daß wir uns den Vorgang, den wir betrachten wollen, so vorstellen, als spiele er sich wirklich und tatsächlich vor unseren Augen ab. Durch diese Vorstellung wird der Geist in das Geheimnis eingeschlossen, das wir betrachten wollen, damit er nicht hin und her flattert.
Dieser Tätigkeit der Vorstellungskraft folgt die des Verstandes, die eigentliche Betrachtung. Sie besteht im Unterschied zum Studium, bei dem es um das reine Wissen geht, in Erwägungen, die unser Herz für Gott und Göttliches erwärmen sollen, um Tugend und Gottesliebe zu erlangen. Findet unser Geist an einer Erwägung Geschmack, Licht, Frucht, dann sollen wir dabei bleiben, ohne weiterzugehen, sonst aber in aller Einfachheit ohne Hast zu einer anderen Erwägung übergehen.
Solch eine Betrachtung weckt Regungen des Herzens im Willen, weckt Affekte wie die Liebe zu Gott und dem Nächsten, die Sehnsucht nach dem Himmel, den Eifer für die Nachfolge Christi und das Heil der Seelen, Bewunderung, Freude, Vertrauen in Gottes Güte und Erbarmen. Das aber genügt noch nicht. Diese Affekte müssen in besondere, ins einzelne gehende Vorsätze umgewandelt werden, die in konkrete Situationen hineinwirken. Sehr wichtig ist dabei das Bemühen, an diesen Entschlüssen festzuhalten und sie tagsüber auszuführen, damit die Betrachtung nicht unnütz oder sogar schädlich wird. (Sonst werden Herz und Geist nur aufgebläht, weil man meint, das schon zu sein, wozu man sich entschlossen hat. Vor dieser Gefahr bei Vorsätzen warnt auch Teresa von Avila).
Mit Dank, Aufopferung und Bitte wird die Betrachtung abgeschlossen. Zwei oder drei Gedanken wählen wir uns aus, die wir besonders in den Tag hineinnehmen. Der Übergang vom Gebet zur Arbeit muß eingeübt werden. Berufs- und Standespflichten können weit ab von unseren Affekten liegen. Das eine wie das andere jedoch ist Gottes Wille. Gehen wir also gelassen und in Frieden, im Geist der Demut und Frömmigkeit in den Alltag, damit es keine Störung in unserem Seelenleben gibt.
Ignatius von Loyola gibt uns in seinem Exerzitienbuch ähnliche Regeln für die Betrachtung: das Vorbereitungsgebet, um von Gott die Gnade zu erbitten, daß alle Absichten, Handlungen und Beschäftigungen rein auf den Dienst und das Lob Seiner göttlichen Majestät hingeordnet seien, dazu die Bitte, was ich durch diese Betrachtung begehre; die erste Vorübung im Aufbau des Schauplatzes (dabei sehen, hören, riechen, betasten, verkosten); die Erwägungen des Heilsgeheimnisses; die Zwiesprache, wobei die Seele sich ob des Erkannten ausspricht und um die Kraft bittet, in der Tat eine Antwort zu geben.
Diese Zwiesprache mit dem Herrn geschieht auch bei der Schriftlesung in den charismatischen Gebetsgruppen, wenn wir uns dort im Gebet die Frage stellen: Was will Gott uns damit sagen? Was will Gott von mir, das ich tue?
Wer sich innerlich schon mehr zum Schweigen, mehr zur Passivität als zur Aktivität der inneren Kräfte gedrängt fühlt, wird vielleicht nur in ruhigem ganzheitlichen Schauen und Horchen, anbetend, ein Heilsgeheimnis, eine Stelle aus der Schrift aufnehmen und sich dabei ganz von Gott führen lassen. Manchmal können wir auch, damit wir in der stillen inneren Aufmerksamkeit nicht so sehr ermüden und unsere Gedanken schläfrig werden oder abgleiten, einen Satz aus der Bibel langsam, gelassen wiederholen, bis er der Seele ganz zur Nahrung wird, die sie in sich aufnimmt. (So lernen wir im Gebet Worte des Herrn auch auswendig, damit sie uns im Alltag Stütze und Verteidigung gegen das Böse werden können.)
Franz von Sales rät, wenn es vorkommt, daß unser Herz sogleich nach der Vorbereitung ganz von Gott ergriffen und bewegt ist, uns ruhig, ohne Rücksicht auf irgendeine Methode diesem Zug zu überlassen.
Teresa von Avila betont in ihrem Buch: „Leben“ – so sehr die Wichtigkeit, Sein Bild, Sein Leiden oder Seine Auferstehung immer vor Augen zu haben, sie zu betrachten, selbst wenn die Seele schon zur höchsten Stufe der Beschauung geführt worden wäre; nur so geht sie sicher. Viele Heilige, die auf hoher Stufe der Beschauung standen, fanden ihre Wonne in der Betrachtung der Menschheit Christi. Wir sind eben leibhaftige Wesen; unterließen wir im Stolz diese Betrachtung, würde die Seele gleichermaßen nur in der Luft schweben, sie wäre ohne Stütze.
Der Lehrbrief „Das innerliche Gebet I – aktives Gebet“ ist der vierte Teil einer Sammlung von neun Lehrbriefen, die unter dem Titel „Von den Mystikern lernen – Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz“ erschienen ist und als gebundenes Heft über unser Büro bestellt werden kann. Zusammengestellt wurde die Sammlung von Barbara Busowietz und Pfarrer Gustav Krämer.